Ich seh Ich seh begeisterte in den vergangenen Jahren zahlreiche Film- und Horrorfans. Natürlich stellt sich nun die Frage, warum wir 2020 eine Kritik zu einem sechs Jahre alten Film veröffentlichen. Die Antwort ist einfach: Vor einiger Zeit stellten wir die These auf, dass das Horrorkino der vergangenen Jahre am Boden liegt. Nun ist es aber so, dass Ausnahmen bekanntlich die Regel bestätigen und deswegen möchten wir Alternativen aufzeigen. Horrorfilme, die eben nicht billige Jumpscares nutzen, sondern die wirklich tiefgehend schocken. Genau das tut Ich seh Ich seh! Viel Spaß bei unserer Kritik.
Die Story von Ich seh Ich seh
Ich seh Ich seh hält die Story in einem angenehmen, kleinen Rahmen. Die Brüder Lukas und Elias wohnen mit ihrer Mutter in einem großen, luxuriösen Haus am Waldesrand. Nach einer Gesichts-Operation kommt die Mama der beiden Jungs mit einbandagiertem Gesicht zurück nach Hause – und verhält sich seltsam abweisend und aggressiv. Die zwei aufgeweckten Brüder vermuten schnell, dass das unter der Maske, nicht ihre Mutter ist. Sie sagen der Unbekannten den Kampf an und versuchen herauszufinden, was passiert ist. Mehr möchten wir an dieser Stelle gar nicht verraten, denn diese Story sollte man selbst erleben.
Unsere Kritik zu Ich seh Ich seh
So einfach wie die Story auf den ersten Blick wirken mag, Ich seh Ich seh bietet weitaus mehr als ein einfaches Wer-ist-unter-der-Maske-Spiel. Immer wieder werden albtraumhafte Visionen gezeigt, die auf etwas übernatürliches hinweisen. Immer wieder denkt man als Zuschauer, man hat das Rätsel geknackt. Doch die Auflösung, die dann doch etwas ganz anderes aufdeckt, trifft am Ende umso härter in die Magengrube. Wir verraten hier natürlich nicht, was es mit Elias’ und Lukas’ Mutter auf sich hat. Nur so viel: Wenn man den Twist bereits kennt, fallen im Film immer wieder Hinweise auf, die die Überraschung andeuten könnten. Doppeltes Ansehen ist also in diesem Fall besonders spannend!
Psssst!
Wie schon Wir schafft es auch Ich seh Ich seh mit einer unfassbar dichten Atomsphäre zu punkten – und das an nahezu jeder Stelle. Das Haus der Familie wirkt unheimlich (im wahrsten Sinne des Wortes) steril und unpersönlich. Der Soundtrack, völlig minimalistisch aber doch bedrohend, fügt sich perfekt in diese ungemütliche Sterilität ein. Dass die Mutter der beiden Brüder irgendwie komisch ist, lässt einem regelmäßig einen Schauer über den Rücken kriechen. Plötzliche Gewaltausbrüche oder die völlige Überreaktion ihrerseits sind wirklich unangenehm anzuschauen.
Einige Sequenzen in Ich seh Ich seh sind völlig still. Es passiert nicht viel, außer dass Lukas und Elias zusammen spielen oder ihre Kakerlaken-Haustiere füttern. Doch das Böse scheint allseits gegenwertig zu sein, denn selbst solch ruhige Passagen fühlen sich irgendwie unbehaglich an.
Der große Knall
Der folgende Abschnitt enthält nun leichte Spoiler, die wir aber nennen müssen, um auf eine extrem starke Passage eingehen zu können. Also, wir haben euch gewarnt!
Um herauszufinden, ob Mama wirklich Mama ist, fesseln die beiden Jungs die Frau ans Bett und beginnen, sie mit Lupe, Schere und sonstigen Mitteln zu malträtieren. Bis zu diesem Punkt zeigte der Film zwar eine bedrohliche Atomsphäre, sparte aber mit harten, brutalen Inhalten. Umso härter trifft diese Sequenz nun den Zuschauer. Von der reinen Brutalität hat diese Passage natürlich nichts mit SAW, Hostel und Co. zu tun, dennoch stockt beim Zuschauen regelmäßig der Atem und man leidet vor dem Bildschirm mit. Jede Aktion der Jungs steht im krassen Kontrast zum bisherigen Verlauf des Films und wirkt daher doppelt so intensiv. Auch die Eskalation im Finale und die eigentliche Auflösung verfehlen ihre Wirkung nicht und stellen die logische Folge der eskalierenden Ereignisse dar.
Fragen über Fragen
Man könnte Ich seh Ich seh ankreiden, dass zwar viele Fragen geklärt werden, aber einiges dann doch unbeantwortet bleibt. Das mag den einen oder anderen Zuschauer stören, doch die offenen Fragen tragen wenig zum grundlegenden Verständnis des Films bei. Jeder kann sich also selbst ein Bild davon machen, was zum Beispiel mit dem Vater der beiden Jungs ist. Der wird zwar hin und wieder erwähnt, aber nie gezeigt, geschweige denn dessen Verbleib erläutert. Da es in diesem Kammerspiel nur drei Schauspieler gibt (winzige Nebenrollen einmal ausgeblendet), machen wir es hier kurz: Die Hauptdarstellerriege macht durchweg einen guten Job. Gerade die Zwillingsbrüder überzeugen in ihrer Unschuld, die dann jedoch in unschuldiges Böse abdriftet.
Ich seh Ich seh > The Grudge
Kommen wir zum Fazit und damit zurück zu unserer Einstiegsthese, dass die Horrorszene am Boden liegt. Ja, Machwerke wie The Grudge sind billig, schnelles Horrorfutter und wahrlich keine Vorzeigekandidaten für das moderne Horrorkino. Doch Filme wie Ich seh Ich seh oder It Follows zeigen mehr als eindrucksvoll, wozu das Genre imstande ist. Eine Atmosphäre zum Durschneiden, Mitleiden mit den Protagonisten und ein nicht greifbares Böses, das die ganze Zeit über allem schwebt und ein ungutes Gefühl in der Magengegend erzeugt. Ich seh Ich seh springt euch nicht in Gesicht und braucht keine gruseligen Fratzen um zu schocken. Es reichen zwei Kinder, eine Mutter und eine abgelegenes Haus, um einen der besten Horrorfilme der letzten zehn Jahre zu erschaffen.
Informationen zum Film
- Originaltitel: Ich seh Ich seh
- Laufzeit: ca. 100 Minuten
- Heimkinostart: 22. Oktober 2015
- Altersfreigabe (FSK): ab 16 Jahren freigegeben
- Besetzung: Lukas Schwarz, Elias Schwarz, Susanne Wuest
Extras auf der Blu-ray:
- Making Of