The Night Clerk – Ich kann dich sehen ist mal wieder so ein Film, den man vor einigen Wochen so gar nicht auf dem Schirm hatte. Das verwundert, so sind die beiden Hauptdarsteller, Tye Sheridan und Anna de Armas, keine Unbekannten, sondern gut gebuchte “Jung”stars aus Hollywood. Dennoch war ihr neuster Streich von keinem großen Hype begleitet. Pünktlich zum Heimkinostart des Thrillers klären wir, warum der Film leider auch nach seiner Veröffentlichung keine großen Wellen schlagen wird, sondern schnell wieder in der Versenkung verschwinden dürfte.
Die Story von The Night Clerk
Bart ist Autist und arbeitet als Nachtportier in einem kleinen Hotel. Um zu lernen, wie man mit anderen Menschen umgeht, hat der junge Mann in allen Hotelzimmern Kameras versteckt und studiert so die Bewohner seines Arbeitsplatzes. Bei einer seiner nächtlichen Beobachtungen wird er Zeuge eines Mordes in einem der Zimmer. Er will zur Hilfe eilen, kommt jedoch zu spät und ist fortan selbst Verdächtiger in den Untersuchungen des Mordes. Bart muss zwar irgendwie seine Unschuld beweisen, gleichzeitig kann und will er seine Kameras nicht verraten. Eines Nachts bezieht die junge Andrea ein Zimmer in Barts Hotel. Die beiden kommen sich näher – doch Andrea ist nicht das, für was Bart sie hält. Wem kann er vertrauen und schafft er es, seine Unschuld zu beweisen?
Unsere Kritik zu The Night Clerk
Wo sollen wir bei The Night Clerk bloß anfangen? Der Film leidet an extrem vielen Baustellen – so viel sei schon einmal vorweg verraten. Beginnen wir zunächst mal mit den positiven Aspekten des Filmes: Das Hauptdarstellergespann liefert durchweg gut ab. Anna de Armas mimt (wie so oft) die junge, unschuldige Dame, die dann aber doch irgendwie mysteriös erscheint. Das konnten wir so schon beim grandiosen Knifes Out oder bei Knock Knock betrachten. Doch wo Anna de Armas routiniert gut auftritt, ist Tye Sheridan ein echtes Highlight des Streifens. Klar, an einen Tom Hanks in Forrest Gump kommt er nicht ran und ja, seine Darstellung des Autisten Barts mag ein bisschen klischeehaft ausfallen – dennoch überzeugt Sheridan zu 100 Prozent. Die Chemie zwischen den beiden stimmt und auch die sonstigen Darsteller fallen nicht negativ aus. Nun. Das war es dann leider auch schon auf der hellen Seite der Macht… äh, des Films.
Licht und viiiiiiiiiiiiiel Schatten
Eines vorweg: Auch wenn The Night Clerk einige Baustellen vorzuweisen hat, ist er kein Totalausfall, wie zum Beispiel Coyote Lake. Dennoch ist er am Ende kein wirklich guter Film geworden. Warum? Darum: Werfen wir einen Blick auf die Story. Das klingt alles erst einmal ziemlich spannend – ein bisschen wie Hitchcocks Fenster zum Hof oder Miss Marple in 16:50 ab Paddington. Ein zunächst Unbeteiligter wird Zeuge eines Mordes und versucht dann, das Verbrechen aufzuklären. Wie geht Bart das in The Night Clerk an? Wie kommt er dem Mörder auf die Schliche? Nun, die Antwort ist so simpel wie unbefriedigend: Eigentlich gar nicht. Die Suche nach dem Täter nimmt im Film kaum Zeit ein. Bart erkennt auf seinen Aufnahmen, dass der Mörder ein Tattoo am Arm hat. Bart findet ihn, Fall geklärt. Trotzdem geht er nicht zur Polizei und überhaupt ist der Mordfall für den Film eigentlich völlig überflüssig. Der Fokus liegt nämlich ganz woanders.
Die große Liebe… oder doch nicht?
Größtenteils behandelt The Night Clerk die Annährung von Bart an Andrea. Wie verliebt sich ein Autist? Wie kann Bart Nähe zulassen? Nun. Er küsst Andrea. Fertig. Story abgeschlossen. Ganz so simpel ist es dann natürlich doch nicht, aber wir als Zuschauer leiden nie wirklich mit, fragen uns nie, ob Bart das Richtige tut. Alles plätschert vor sich hin und es gibt eigentlich keinen Höhepunkt, der im Gedächtnis bleibt. The Night Clerk verfolgt keine Spannungskurve, sondern ist ein trauriger Spannungsstrich. Den einen kleinen Twist am Ende wollen wir natürlich nicht spoilern – doch auch er schafft es nicht, das Ruder herumzureißen. The Night Clerk ist einfach furchtbar beliebig.
Autismus oder was?
Autismus wurde in den vergangenen Jahren immer prominenter in der Popkultur verarbeitet. Angefangen mit Forrest Gump, über Serien wie atypical oder Actionkracher wie The Accountant wurde das Thema schon oft gut und interessant verarbeitet. Doch auch hier leistet sich The Night Clerk wieder einen dicken Patzer. Wie spannend hätte man einen Krimi mit einem autistischen Zeugen gestalten können? Ein Mord an sich ist schon schockierend genug, doch wie wirkt sich das auf einen Menschen aus, der Ordnung und Strukturen in seinem Leben braucht? Bart erlebt diesen Mord, findet die Leiche und lebt sein Leben einfach weiter. Und genau hieran sehen wir, was das grundlegende Problem dieses Streifens ist: Alles wird nur lose angerissen, ohne wirklich in die Tiefe zu gehen. Was ist The Night Clerk? Ein Krimi? Dafür gibt es zu wenig naja… Krimi halt. Ein Liebesfilm? Dazu gibt es zu wenig Liebe, Emotionen und echte Gefühle. Ein Lehrstück zum Thema Autismus? Dazu wird das Thema viel zu oberflächlich und stiefmütterlich behandelt.
Schade drum
Am Ende bleibt ein semispannender Thriller, der in jedem Bereich so viel mehr sein könnte. Die Prämisse bleibt nach wie vor extrem spannend, die Darsteller sind gut und der grundlegende Romanzen-Spin ist auch nicht verkehrt. Doch das alles wird so oberflächlich abgehastet, dass am Ende nicht nur wenig hängen bleibt, der Film plätschert viel zu lange einfach nur so rum. Höhepunkte gibt es nicht, Spannung dementsprechend auch nicht. So bleibt schlussendlich nur der fade Beigeschmack, dass hier viel mehr hätte passieren können. Und mittelmäßige Unterhaltung kann momentan wohl niemand gebrauchen…
Informationen zu The Night Clerk
- Originaltitel: The Night Clerk
- Laufzeit: ca. 90 Minuten
- Heimkinostart: 19. November 2020
- Altersfreigabe (FSK): ab 12 Jahren freigegeben
- Besetzung: Tye Sheridan, Ana de Armas, John Leguizamo
Extras auf der Blu-ray:
- Interviews mit dem Regisseur und den Darstellern